Oft genug erlebt man es – Je jünger ein Künstler, desto länger sein Lebenslauf. Über Fabio Martino als Interpret dieser Aufnahme erfährt man im Booklet der vorliegenden CD jedoch – nichts! Das kann neben vielen anderen möglichen Gründen entweder das Ergebnis drucktechnischer Einschränkungen oder eines durchaus nicht geringen Selbstbewusstseins sein.
Grund genug dafür hätte Martino allemal und sein Klavierspiel spricht ohnehin für sich selbst. Die künstlerische Vita des mittlerweile weltweit konzertierenden Brasilianers ist beeindruckend, sein Klavierspiel nicht minder. Da ist nicht nur die rein technische Seite, denn Martino bewältigt sowohl Ludwig van BeethovensAppassionata und Romantisches wie etwa Franz Liszts Liebesträume und Robert Schumanns C-Dur Fantasie mit außerordentlicher Fingerfertigkeit und Brillanz. Das ist zwar beeindruckend, aber eben auch nur die halbe Miete für einen Pianisten.
Weswegen sein Spiel auch in geradezu bezwingender Weise für sich einnimmt ist die emotionale, die ausdrucksmäßige Komponente, über die es in besonderem Maße verfügt. Aus dem ersten Satz von Beethovens Appassionata macht er Martino fast ein von extremen Kontrasten geprägtes Psychogramm, der zweite ist gerade zu Beginn von wunderbarer Schlichtheit. Bei Liszt betören die unglaublich vielfältigen klanglichen und agogischen Schattierungen, mit denen Martino hier aufwarten kann und bei Schumanns Fantasie ist es eine unglaubliche Zerrissenheit, mit der er den Hörer in die innere Welt dieser Musik in geradezu magischer Weise hineinzieht.
Keine Frage, Martino ist ein außerordentliches Talent, das mit dieser CD ein mehr als nur eindrucksvolles Zeugnis seiner pianistischen Reife vorlegt. Er bewegt sich stets am dramaturgischen Puls der Musik, verdichtet deren Atmosphäre mit phänomenalem Nachdruck und schafft so das Wunder, selbst altbekannte Stücke aus einer völlig neuen Perspektive zu hören. Hörenswerte Zugabe ist eine Bearbeitung des „Schlagers“ Tico-Tico von Marc-André Hamelin. Das ist nicht nur virtuos, das fetzt regelrecht! Grandios!
Guido Krawinkel
01.11.2016